75 Sänger, überwiegend aus Dirigenten- und Frauenchor,...

Feierstunde zur Wiedervereinigung

"Ost - West - Ost - West - Ost...". Ein Junge hüpft über eine doppelt gelegte Steinreihe auf der Straße hin und her. Er ist sieben Jahre alt und hat keine Vorstellung von ihrer Bedeutung. Die Steine führen durch ganz Berlin, sie folgen auf 160 Kilometern der Berliner Mauer. Mit diesem Einspieler, der dem Vorfilm zum Pfingstgottesdienst des Jahres 2008 entnommen ist, beginnt die Feierstunde in Berlin-Prenzlauer Berg am Samstag, 7. Januar 2017. Anlass ist das 25jährige Jubiläum der Wiedervereinigung der Berliner Apostelbezirke Ost und West durch Stammapostel Richard Fehr. Mit dabei: Stammapostel Jean-Luc Schneider, Bezirksapostel Rüdiger Krause, die Apostel Pavel Gamov, Rolf Wosnitzka und Klaus Katens sowie der Gastgeber: Bezirksapostel Wolfgang Nadolny. In der Kirche haben sich Bezirks- und Gemeindeleiter, zum größeren Teil bereits im Ruhestand, versammelt. Vielen von ihnen ist die Zeit, in die diese Stunde zurückführt, noch sehr präsent.

Das Programm ist vom Lobpreis Gottes geprägt. Etwa 75 Sänger danken Gott mit "Herrlich, herrlich bauet Gott sein Werk" oder als Männerchor mit "Meine Zeit in deinen Händen". In zwei weiteren Videosequenzen kommen zwei Persönlichkeiten zu Wort, die die Zeit selbst erlebten: Da ist zum einen Bezirksältester i.R. Werner Simon. Er berichtet vom Mauerbau. Davon, wie er an diesem Sonntag, dem 13. August 1961, nicht mehr in seine Heimatgemeinde, zu seinen Glaubensgeschwistern kommt - abgeschnitten ist von denen, für die er nicht nur zuständig ist, sondern denen er sich verbunden fühlt. Die Rückschau führt ihn an Originalschauplätze der Geschichte, an die Reste der Berliner Mauer. Zum anderen erinnert sich Gemeindeevangelist i.R. Günter Brücher (verstorben am 11. März 2009) ebenfalls an historischem Ort - in der Deutschlandhalle - an die gleiche Zeit in Westberlin. Abgeschnitten, nicht nur von der Kirchenleitung im Osten, sondern auch vom restlichen Deutschland. Getrennt durch eine Barriere aus Stacheldraht und Stein. Eine Zeit, in der das kirchliche Westberlin von Hannover aus versorgt werden muss. Er beschreibt die Deutschlandhalle als "markanten Ort". Sie sei einmal im Jahr Treffpunkt der Westberliner Kirchenmitglieder gewesen. Sie hätte "eine Art von frommer Abenteuerlichkeit" begleitete, so Günter Brücher, wenn der Gottesdienst des Stammapostels zu "einem kleinen Volksfest", zu einem Ort der Begegnung wurde. Zwischen beiden Ausschnitten blickt auch der Chor zurück, auf eine Zeit voller Zuversicht auf Gottes Hilfe: "Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe".

Gleicher Geist trotz unterschiedlicher Bedingungen

Das vierte Video beschäftigt sich mit dem Fall der Berliner Mauer. Eheleute Krack führte die erste Gemeindefusion Berlins zusammen: Sie aus der Gemeinde Nord I, er aus Pankow kommend, lernen sich in der gemeinsamen Jugendgruppe der Gemeinde Wedding kennen und später lieben. "Wenn man sich liebt ist es egal, ob du aus Uruguay oder China kommst", meint er im Video. Sie heiraten und 2008 hüpft der Sohn die Mauer entlang. "Unsere Generation macht keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West", fasst der Vater zusammen.

Und auch Stammapostel Richard Fehr kommt noch einmal zu Wort. In zwei weiteren Filmausschnitten werden Originalaufnahmen aus dem Vereinigungsgottesdienst am 5. Januar 1992 gezeigt. Sie werden verbunden durch das damals gesungene Eingangslied "Herz und Herz vereint zusammen sucht in Gottes Herzen Ruh", das Chor und Klavier gewissermaßen als Hommage an den historischen Moment vortragen. Es ändere sich nicht viel, stellte Stammapostel Fehr die Gemeinsamkeiten damals heraus. "Auf beiden Seiten der Mauer war in all den Jahren der gleiche Geist tätig, die gleiche Liebe zu Gott wirkte und schaffte - wenn die äußeren Umstände auch unterschiedlich waren". Was äußerlich unterschiedlich sei, würde im Inneren bald zusammenfinden, stellte er in Aussicht. Und auch die entscheidende Ansprache ist zu sehen: "Hiermit vereinige ich offiziell die beiden Bezirke zum Bezirk Berlin." Im Anschluss ist es wieder der Chor, der Gott die Ehre gibt: "Lobe den Herrn, meine Seele" aus Mendelssohn-Bartholdys "Lobgesang".

"Von Berlin kann man lernen"

Vergangenheit sei nicht dazu da, sie zu vergessen - sondern aus ihr zu lernen, beginnt Bezirksapostel i.R. Wilfried Klingler seine Laudatio. Und auch er führt zurück in die Vergangenheit. 40 Jahre Entwicklung in unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen seien "deutlich zu spüren" gewesen. "Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, Kommunikationsstil und auch Sprache hatten sich verändert", wie man an 'Goldbroiler' (gemeint war in Ostdeutschland damit ein Grillhähnchen) oder auch 'Zone' (Westdeutscher Begriff für Ostdeutschland) einfach sehen könne. Diese Situation habe sich ab 1961 durch den Bau der Mauer verschärft. "In mühevoller Kleinarbeit musste improvisiert werden", um beispielsweise kirchliche Schriften zu produzieren. Im Westen der Stadt seien die Einwohner vor allem in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt gewesen und hätten das Berliner Umland verloren. Durch die politische Wiedervereinigung sei eine gemeinsame Euphorie entstanden, durch die man die erforderliche Anstrengung und Entbehrung, die von Menschen durchgemacht werden mussten, oft erst sehr spät erkannt habe. Dadurch seien hier und da Enttäuschung und Verbitterung entstanden. "Anfänglich hieß es, es gäbe gar keine Unterschiede, später betonte man das Gemeinsame. Erst die Haltung, dass man Unterschiede akzeptiert und als Bereicherung ansieht, führen zu einem gelungenen Leben - auch in der Kirche." Wenn er die Gebietskirche heute sehe, sei es wirklich "gelungen, Menschen mit unterschiedlichen Prägungen auf engem Raum zusammen zu führen und daraus eine freudige Gemeinschaft zu formen." Sein Fazit: "Man kann von Berlinern lernen, wie man eine Fusion erfolgreich zum Gelingen führen kann." Seine Laudatio schließt er nach Berliner Manier: "Dit wa duffte mit euch, macht dit jut, dit wa's!"

Weiter der Vollendung entgegen

Zum Mauerbau und Mauerfall könne er nicht viel sagen, wendet sich Stammapostel Schneider an die Zuhörer, nachdem der Chor "Gottes grenzenlose Liebe" besungen hat. Er würdigt Stammapostel Fehr als einen Mann, "der Großes und Gewaltiges für das Werk Gottes weltweit getan hat". Wenn man heute von Zusammenlegungen spreche oder Bezirke umorganisiere, sei das beinahe zum Alltagsgeschäft geworden. Er verstehe, dass das auch heute "noch emotional nicht einfach" ist. Aber man könne und müsse daraus lernen. Früher sei die persönliche Bindung zu Amtsträgern manchmal beinahe so wichtig gewesen, wie das Evangelium selbst. Gott wolle, dass wir "uns auf das Wesentliche konzentrieren, das Evangelium", so der Stammapostel weiter. "Je wichtiger Jesus Christus wird im Gegensatz zu unserer Person und Emotion, je stärker wird das Werk Gottes."

Text: jel
Fotos: hdk

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