"Die zweite Reise in diesem Jahr führte mich an die Grenze zwischen Asien und Europa, in den Ural. Am Donnerstag, 26. Januar hob der Airbus pünktlich in Berlin-Schönefeld ab. Nach drei Stunden Aufenthalt in Moskau ging es weiter nach Magnitogorsk. Gut fünfhunderttausend Menschen leben hier. Der Name der Stadt gibt bereits Aufschluss über ihren Charakter. Hier werden Eisenerz, Kohle und andere Bodenschätze abgebaut. Es gibt ein großes Stahlwerk, weshalb Magnitogorsk auch die Stadt der Metallarbeiter genannt wird. Wir landeten kurz nach fünf Uhr morgens bei minus 32 Grad Celsius. Geradewegs ging es zum Hotel, um etwas Schlaf nachzuholen.
Zusammen mit Apostel Wladimir Lasarew, den Bischöfen Wladimir Groh und Oleg Ljan, dem vor Ort zuständigen Bezirksältesten Alexej Gromow und unserem Dolmetscher fuhren wir nach einer kurzen Besprechung zu unserer Kirche. 'Kirche' ist eigentlich nicht ganz zutreffend, denn die Gemeinde besitzt kein eigenes Gebäude. Wir haben im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Wohnhauses ein Ladengeschäft gekauft und es für die Gemeinde hergerichtet. Etwa 50 Personen können sich dort versammeln. Es gibt Nebenräume für die Unterrichte, eine Teeküche und einen Mehrzweckraum.
Zum Gottesdienst, der um 18 Uhr begann und unter dem Bibelwort aus Matthäus 12,50 stand, konnten wir insgesamt 38 Personen, darunter vier Gäste begrüßen. Anschließend gab es noch die obligatorische Teestunde. Lebhafte Gespräch wurden geführt und etliche Lieder gesungen. Die Geschwister nutzten die Gelegenheit, um mit ihren Aposteln und Bischöfen zu sprechen. Wieder im Hotel angekommen, begaben wir uns zum Abendessen. Schnell verging die Zeit und so war es bereits nach Mitternacht, als wir uns zu Bett begaben.
Am nächsten Morgen verließen wir Magnitogorsk um 8 Uhr und fuhren westwärts in den Ural hinein. Der Ural ist ein Mittelgebirge, welches sich über etwa 1.000 km von Nord nach Süd erstreckt. Der höchste Berg ist der Norodnaja mit 1.895 Meter über dem Meeresspiegel. Geprägt wird das Gebirge von schroffen Felsen. Unser Ziel war die Stadt Beloretzk am Ufer des Flusses Belaja. Mit ihren knapp 70.000 Einwohnern zählt sie eher zu den kleineren Städten. Den Gottesdienst feierten wir im Haus unserer Glaubensschwester. Insgesamt waren fünfzehn Teilnehmer anwesend, davon zwei Gäste. Auch hier folgte dem Gottesdienst eine Teestunde mit vielen angeregten Gesprächen.
Die Fahrt ging danach immer tiefer ins Gebirge. Wir waren erstaunt, wie wenig Schnee in den Bergen liegt. Das ist ganz und gar außergewöhnlich. Als wir vor Monaten diese Reise planten, machten wir uns darüber Gedanken, wie wir wohl über die Berge kommen würden. Diese Sorgen waren umsonst, denn wir fuhren bei herrlichem Sonnenschein und minus 16 Grad Celsius auf sauberen Straßen durch den Ural. Hin und wieder tauchte ein Dorf auf. Manchmal war die Straße ins helle Sonnenlicht getaucht, ein Stück weiter fuhren wir im Schatten der Berge. Nur die Bergkämme wurden von der Sonne angestrahlt. An einer Brücke über einen Fluss und eine Bahnstrecke machten wir eine kurze Pause. Die Sonne spiegelte sich im Eis des Flusses und die Bahngleise folgten seiner Biegung. Kleine Siedlungen waren im Vorbeifahren zu sehen. Dann lagen die Berge hinter uns. Weithin erstreckte sich das flache Land. Baschkirien ist für seinen schwarzen Mutterboden bekannt. Es ist ein sehr fruchtbares Gebiet. Die Dörfer liegen abseits der Straße, fast ein wenige versteckt hinter Baumreihen. Die Bäume sollen Haus, Vieh und Mensch vor dem kalten Wind schützen, der, egal wie viel Kleidung man anhat, bis auf die Haut durchdringt.
Wir erreichten Ufa, die Hauptstadt der Republik Baschkirien. Mit 1,2 Millionen Einwohnern ist Ufa das politische und wirtschaftliche Zentrum. Moderne Gebäude, Parks und Flanierwege prägen das Bild. Obwohl unsere Gemeinde in Ufa schon seit Anfang der 1990er Jahre existiert, gelang es bisher nicht, der Gemeinde ein eigenes Zuhause zu geben. Im vorigen Jahr war es dann endlich soweit: Ein Ladengeschäft konnte gekauft werden. Mit großer Freude zeigten mir die Brüder die Räume und erklärten, wie es einmal aussehen soll. Die Bauarbeiten sind noch in vollem Gange und werden voraussichtlich im März abgeschlossen. Dann kann die Gemeinde ihr neues Heim in Besitz nehmen.
Wir bezogen im Hotel unsere Zimmer und packten die Koffer aus. Es war zwar nur für ein paar Stunden, aber ein wenig Gemütlichkeit sollte doch spürbar werden. Anschließend fuhren wir zu unserem Bischof Groh und seiner Familie. Zusammen mit den Eltern bewohnen auch die Tochter Margarita und der Sohn Alexander mit seiner Frau und dem eineinhalb Jahre alten Enkel die Dreizimmerwohnung. In Deutschland kaum vorstellbar, aber in Russland ist das normal. Wir hielten uns nicht sehr lange auf, schließlich sollten am Sonntag zwei Gottesdienste stattfinden und einige Kilometer waren auch wieder zu fahren. Vom Hotelzimmer aus sieht man den Fluss und eine Konzerthalle. Alles ist weiträumig und parkähnlich angelegt. Auf einem Hügel thront das Denkmal des Nationalhelden Salawat Julajew.
Im gemieteten Gottesdienstraum hatten sich am Sonntag 36 Gläubige versammelt. Wir feierten das Heilige Abendmahl für die Entschlafenen, eine Frau empfing das Sakrament der Heiligen Versiegelung und ein Diakon wurde ordiniert. Nach dem Gottesdienst hielten wir uns nicht lange auf, sondern machten uns auf den Weg nach Sterlitamak. Der Gottesdienst dort begann um 16 Uhr und stand unter dem Bibelwort "So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut" aus Lukas 15,7. Zu diesem Gottesdienst versammelten sich 76 Teilnehmer, aber auch wenn nur ein Sünder gekommen wäre, um Buße zu tun, würde sich der Himmel freuen. Und wenn sich der Himmel freut, können wir dann auf Erden traurig sein? Den Abend verbrachten wir in der Familie unseres Ältesten. Die Gemeinschaft war sehr wohltuend.
Am nächsten Tag, es ist Montag, der 29. Januar, fuhren wir am Nachmittag in Richtig Süden. Ziel war die kleine Gemeinde Kumertau. Auch hier finden die Gottesdienste in der Wohnung einer Glaubensschwester statt. Früher hatte die Gemeinde ein eigenes Gebäude. Damals kamen über 40 Besucher zu den Gottesdiensten. Da inzwischen nur noch fünf oder sechs sind, haben wir das Haus verkauft, zumal sich daran auch etliche Baumängel zeigten.
Dienstag ging es zurück nach Hause. Um 10 Uhr verließen wir Sterlitamak, fuhren mit dem Auto zum Flughafen nach Ufa. Von dort flog ich über Moskau nach Berlin und war schließlich gegen 19 Uhr wieder zu Hause. Die ganze Reise konnte wie geplant durchgeführt werden und dafür danken wir Gott."