Was haben ein Fußballverein und eine Kirche gemeinsam? Auf den ersten Blick sicher nicht viel - auf den zweiten trafen sich am Donnerstag Nachmittag, 7. September 2017, alte Nachbarn in der Lichtenberger Ruschestraße. Eingeladen hatten Mitglieder eines integrativen Jugendprojektes des magda Caritas Jugendzentrums. Ort der Begegnung war das Gelände des Fußballvereins SV Lichtenberg 47.
Hier, mit Blick auf die ehemalige Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR tauschte man sich über eine Zeit aus, in der Fußballverein und Kirche Nachbarn waren. Gegründet bereits 1864 als Gemeinde "Berlin 1" war die heutige Gemeinde Berlin-Lichtenberg in den Jahren 1931 bis 1979 in der Normannenstraße beheimatet. Auf der einen Seite der Kirche stand das Verwaltungsgebäude der Staatssicherheit - zur anderen Seite konnte man aus dem oben gelegenen Gemeindesaal auf das Fußballstadion sehen - das zweitgrößte reine Fußballstadion nach der Alten Försterei, wie Stephen Wiesberger, Pressesprecher des Vereins, betont. Leyla, Hailey und Mary, drei Mädchen, interessieren sich mit ihren 11 Jahren für Stadtgeschichte. Gespannt hören sie zu, als Erich Jung, Gemeindeevangelist i.R., aus der alten Zeit erzählt. Die Staatssicherheit habe die Scheiben der zur Kirche gelegenen Fenster ihres Gebäudes zunächst weiß gestrichen "und Sehschlitze zur Beobachtung gelassen", erzählt er. Ihn persönlich habe das nicht weiter gestört. Man habe versucht, das eigene Leben so einzurichten, dass man der Verantwortung vor Gott gerecht würde und gehofft, damit auch den Anforderungen des Staates zu genügen. "Wir wussten, dass wir beobachtet werden." Immerhin habe man sich weiter versammeln können. Der Staatsführung reichte das aber nicht. Nur sechs Meter lagen zwischen den beiden Gebäuden: Die Kirche musste weg. Nach dem Angebot, das heutige Grundstück am Münsterlandplatz zu bekommen, stehen zähe Preisverhandlungen an. Man bekam Hilfe bei der Beschaffung von Baumaterial und auch Handwerker - Gold wert in einer Zeit der Mangelwirtschaft. Die Kirche dient bis heute der Gemeinde als Zuhause, bietet aber auch genügend Platz für zentrale Gottesdienste.
Hier endet eigentlich die kurze Geschichte der Nachbarschaft, aber das Interesse der Gesprächsrunde ist geweckt. Ob es Einschränkungen für die Gläubigen gab, wollen die drei Mädchen wissen. Schnell wird deutlich: Auf der einen Seite wird ein wenig eingeschränktes Gemeindeleben erlebt. Persönliche Erfahrungen sprechen eine andere Sprache. Wer sich von staatlichen Organisationen fernhält, erlebt nicht selten Nachteile bis hin zu verbauten Karrieren, berichtet ein Mitglied des Fußballvereins und auch die Gemeindemitglieder kennen Situationen, in denen sie staatlichen Restriktionen ausgesetzt waren. Susanne Lutz, Initiatorin des Jugendprojekts, kommt aus Schleswig-Holstein. Sie interessiert, wie man in der DDR entschieden habe, ob man sich für Sport oder Kirche engagiert. Man ist sich schnell einig: Die erste Prägung sei bereits durch die Eltern geschehen. Später werde der Fokus der Eltern durch eigene Entscheidungen ersetzt, berichtet Matthias Merten. Er ist als Gemeindeevangelist in der Neuapostolischen Kirche tätig. Wenn man die Gemeinschaft in der Kirche als Kind als wohltuend empfunden habe, sei auch die Entscheidung, sich weiter in der Kirche zu engagieren leichter gefallen, ist er sich sicher - und erzählt, wie er dennoch manches Mal während der Probe des Kinderchores hinunter auf den Sportplatz geschielt habe.
Auf die Frage, warum junge Leute heute noch in die Kirche gehen, weiß Debora Müller Antwort. Sie ist im Gemeindechor und in der Jugendgruppe aktiv, spielt im Orchester Violine. Das Angebot der Kirche habe sich in den letzten Jahren erheblich erweitert Es gäbe Jugendtage, bei denen neben religiösen Themen auch Sport und Spiel auf dem Programm stünden. Ganze Turniere würden organisiert. Das sei alles "nicht mehr so verklemmt", wie es vielleicht früher wahrgenommen wurde. Und man könne natürlich auch "nur mal mit Freunden zusammen sein". Wenn dann ein kirchliches Thema hoch käme, "dann spricht man eben auch darüber".
Für Leyla, Hailey und Mary ist es die letzte von sieben Stadtteilerkundungen. Sie haben in der Arbeitsgemeinschaft ihr Wohnumfeld erkundet und sich mit der Frage beschäftigt "Wie schaffen es Menschen, in schwierigen Lebensumständen sich immer neu zu motivieren, etwas aus ihrem Leben zu machen?" Zwei sehr unterschiedliche Möglichkeiten haben sie heute kennen gelernt.
Text/Fotos: jel