"Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war" - mit diesen Worten des Apostels Paulus an die Kolosser eröffnete Bezirksapostel Wolfgang Nadolny den Abend. Christlicher Glaube sei für viele Menschen unfassbar geworden. Was sei das für eine Religion, deren allmächtiger Gott seinen eigenen Sohn sterben lässt, um die Menschen zu retten? Aber das Argument verfehle den Kern, führte er weiter aus: "Die eigentliche Katastrophe besteht darin, dass sich die Menschheit gegen ihren eigenen Schöpfer gewandt hat", so der Bezirksapostel. Gott dagegen habe sich in Jesus Christus vollständig mit den Menschen solidarisiert, das Leben und das Sterben selbst vollzogen. Und weiter: "Damit zeigt uns Jesus Christus, wie wir unser Menschsein im göttlichen Sinn verwirklichen sollen." Diese Trennung von Gott habe Jesus Christus überwunden, davon zeuge auch das abendliche Programm des Schulchores.
Gänsehaut gab es schon kurz zuvor, als die 204 Sängerinnen und Sänger, in zwei Reihen um das Publikum herumstehend, das Kyrie aus der Deutschen Liturgie von Felix Mendelssohn-Bartholdy sangen. Im Sanctus besangen sie sodann die Heiligkeit Gottes, bevor die erste Lesung von Jürgen F. Schmid in das Geschehen des Palmsonntags einführte. Es war dieser Wechsel von Gesang und gelesenen Bibeltexten, der den Abend nicht nur strukturierte und den Zuhörer mit auf den Leidensweg Jesu nahm, sondern die geschilderten Abschnitte im Leben Jesu greifbar werden ließen.
Das Abendmahl
So auch die Lesung aus Matthäus 26, die zunächst das Passamahl Jesu mit seinen Jüngern schildert, ergänzt durch die Komposition von Heinrich Schütz "Aller Augen warten auf dich, Herre, und du gibest ihnen Speise zu seiner Zeit". Still ist es, als die Lesung von der Einsetzung des Abendmahls berichtet: "Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden." Martin Luther beschreibt im "Agnus Dei", dass Christus, als Lamm Gottes, die Sünde der Welt trägt. Der Programmabschnitt endet mit dem Wunsch "Gib uns deinen Frieden. Amen."
Vor dem hohen Rat muss Jesus sich verantworten. Er bekennt sich als Sohn Gottes, daraufhin wird er der Gotteslästerung angeklagt und zum Tode verurteilt. Die Sängerinnen und Sänger des Berliner Schulchores blicken aus dem Heute auf dieses Geschehen zurück. Sie geben zu erkennen, dass diese Schuld alle Menschen trifft und bitten "Herr, gedenke nicht unsrer Übeltaten und erbarme dich unseres Elends". Pilatus, der römische Statthalter in Jerusalem, fordert Jesus schließlich auf, die Vorwürfe zu erwidern. In der Lesung heißt es dazu: "Und er antwortete ihm nicht auf ein einziges Wort". In diese Stimmung hinein erklingt "Es ist ein Born [...] der Gnadenwunder tut und meinen Kummer stillt." in einem Satz von Wolfgang Lack. Dieser Schilderung des gütigen Wesens Jesu schließt sich der Volkes Wille - gesprochen von allen Chormitgliedern - an, Jesu ans Kreuz zu schlagen.
Die Kreuzigung
Ausführlich schildert das Programm die Kreuzigung Jesu. Die Lesung aus Matthäus 27 erzählt, wie Jesus ans Kreuz geschlagen wird, wie er Wein, vermischt mit Essig, zu trinken bekommt. "Herr stärke mich, dein Leiden zu bedenken", wünscht darauf der Chor. Sie beenden den Text von Christian Fürchtegott Gellert mit einem Bekenntnis: "Du hast mein Heil, da du für mich gestorben, am Kreuz erworben." Und Jesus? Vergibt seinen Peinigern während seiner letzten Lebensmomente am Kreuz. Er hat Gedanken des Mitgefühls für den Räuber, der neben ihm hängt. Er bittet Gott um Vergebung für die, die den Befehl der Hinrichtung ausführen. "Schau hin nach Golgatha! Dort hängt am Kreuzesstamm im Todeskampf dein Jesus" - diese Aufforderung aus dem Lied Friedrich Silchers macht die eigene Schuld am Kreuzestod Jesu bewusst. "Er neigt sein sterbend Haupt. Es bricht sein Herz. Selbst Engel weinen des Welterlösers Tod."
Der Hirte stirbt für seine Herde
Leise, ruhig flehend, bitter quälend, schmerzlich marternd - emotional nimmt Organist Volker Hedtfeld die Stimmung auf. Und zwischendurch blitzt es immer wieder auf, das musikalische Thema des Chorals von Benjamin Schmolck und Georg Neumark "Der Hirte stirbt für seine Herde". Die erste Strophe übernimmt der Chor unisono. Schlicht und vielleicht deshalb so ergreifend besingt er die großartige Tat Christi, "Er büßet fremder Sünder Schuld." Strophe zwei und drei werden gemeinsam mit dem Publikum gesungen. Sie enden mit der Einsicht: "O unaussprechlicher Gewinn!" Der Berliner Schulchor besingt folgend die Liebe Jesu, die von Golgatha herüber scheint: "Horch, die Stimme ew'ger Liebe schallt von Golgatha mit Macht." Dann scheint so etwas wie Erleichterung aus den besungenen Zeilen der Bibel zu sprechen, wenn es heißt: "Es ist vollbracht!".
Nach nicht mehr als 45 Minuten sind der Berliner Schulchor und seine Zuhörer gemeinsam am 'Ende der Geschichte' angekommen. Minuten voll klanggefüllter Emotionen. Mit einem letzten Titel "Am Karfreitage" von Mendelssohn-Bartholdy endet das Konzert. "Um unserer Sünden willen hat sich Christus erniedriget [...] darum hat Gott ihn erhöhet und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Halleluja!"
Es war das erste Konzert des Traditionschores seit seiner Umgestaltung. Nach mehr als 90 Jahren hatte Bezirksapostel Wolfgang Nadolny die Neuausrichtung in einem Informationsvideo verkündet. Neben der Gestaltung von Festgottesdiensten soll der Schulchor Konzerte mit geistlicher und chorsinfonischer Musik gestalten. Als nächstes Projekt ist für den Sommer 2020 das Oratorium "Elias" von Felix Mendelssohn-Bartholdy geplant.