Gottesdienst in der vollbesetzten Gemeinde Berlin-Wilmersdorf

Stammapostel Schneider in Berlin: „Sorry, das ist die Angelegenheit Gottes“

Kontrastprogramm: Eine Woche, nachdem er mit Millionen Gläubigen in aller Welt von München aus das Pfingstfest feierte, besuchte das geistliche Oberhaupt der Neupostolischen Kirche am Sonntag, 15. Juni 2014 die Berliner Innenstadtgemeinde Wilmersdorf. Die war zwar bis unters Dach mit Gottesdienstbesuchern gefüllt, darüber hinaus aber wurde der Gottesdienst nicht in andere Gemeinden übertragen. Im Predigtgepäck hatte Stammapostel Jean-Luc Schneider zwei inhaltsschwere Bibelverse aus einem Paulusbrief.

„Darf’s etwas mehr sein?“, steht groß auf dem Reisebus, der um zwanzig nach neun in einer schmalen Seitenstraße des bürgerlichen Berliner Stadtteils Wilmersdorf sein Ziel erreicht: Die örtliche neuapostolische Gemeinde in der Ravensberger Straße 15. Die Frage bezieht sich zwar auf die Länge des Busses – ein Sondermodell mit sagenhaften zusätzlichen 85 Zentimetern –, aber irgendwie gilt das an diesem Morgen auch für die Gemeinde. Dass der ranghöchste Geistliche einer weltweit aktiven Kirche, der da nun dem Bus entsteigt, eine einzelne Kirchengemeinde besucht, ohne dass der Gottesdienst noch in mindesten zwei Dutzend weitere Gemeinden übertragen wird, kommt doch eher selten vor.

Und so steht Jean-Luc Schneider nun bei milden Temperaturen in der Morgensonne vor dem rund 50 Jahre alten Flachdachbau und wird mit warmen Worten und zahlreichen Händedrücken willkommen geheißen. „Komm, wir bitten, Herr, und segne uns“, singt ein Chor aus Kindern und Jugendlichen, der sich vor den Eingangstüren der Kirche postiert hat. „Den Text des Liedes könnte man eigentlich nachher vorlesen und das wär dann die Predigt“, sagt der Stammapostel gut gelaunt und applaudiert. Dass Segen bedeute, von Gott Kraft geschenkt zu bekommen, Gutes zu tun, wie es im Liedtext hervorschimmert, das findet der Mann, der für die Kirche das Jahresmotto „Mit Liebe ans Werk“ ausgegeben hat, sehr passend.

„Dafür sorgen, dass Christus bekannt wird“

Für den Gottesdienst belässt er es dann aber doch nicht beim Verlesen eines Liedtextes. Zwei Verse aus dem zweiten Korintherbrief des Paulus hat er der Gemeinde mitgebracht: „Denn ich eifere um euch mit göttlichem Eifer; denn ich habe euch verlobt mit einem einzigen Mann, damit ich Christus eine reine Jungfrau zuführte. Ich fürchte aber, dass wie die Schlange Eva verführte mit ihrer List, so auch eure Gedanken abgewendet werden von der Einfalt und Lauterkeit gegenüber Christus.“ (2Kor 11,2.3) Er verliest die Verse und verschafft der Gemeinde am Beginn seiner Predigt zunächst einen werkstattberichtartigen Einblick in seine Gottesdienstvorbereitung: „Wir leben noch in der Zeit nach Pfingsten und ich hab überlegt: Was ist eigentlich das Thema dieses Sonntags?“, gibt er freimütig Auskunft über seine Herangehensweise. Er habe „mit dem lieben Gott ein bisschen ringen“ müssen, bevor er zu dem Schluss gekommen sei: „Pfingsten ist ja der Beginn der Kirche Christi – aber auch der Beginn der Amtstätigkeit der Apostel. Deshalb habe ich an dieses Wort gedacht.“

Und so ist das von Eifer und Furcht geprägte Paulus-Wort für ihn Grundlage, um sowohl theologisch als auch lebenspraktisch-konkret zu werden. Zunächst theologisch, indem er anhand des bildreichen Wortes Auftrag und Aufgabe der Apostel umreißt. Man könnte sagen: Ein Katechismuskapitel, durchdekliniert an einem konkreten Bibeltext. Die Apostel hätten zum einen das Evangelium zu verkündigen, „dafür zu sorgen, dass Christus bekannt wird“, um dessen Gemeinde, die im biblischen Bild als „Braut“ beschrieben wird, zu sammeln. Die „Verlobung“ mit dem Bräutigam Jesus Christus, von der Paulus spricht, entspreche damit den beiden Taufsakramenten der Kirche, Heiliger Wassertaufe und Versiegelung, führt der Stammapostel aus. Eine weitere Aufgabe der Apostel sei es, „diese Braut vorzubereiten“ auf die Hochzeit – die Hochzeit im Himmel, wie sie in der Bibel als Zukunftsaussicht beschrieben wird.

„Klare Priorität: Die Liebe zu Gott und dem Nächsten“

Und dann kommt Jean-Luc Schneider auf die Angst des Paulus zu sprechen, auf dessen Furcht, die Gemeinde könnte ihre „Einfalt und Lauterkeit gegenüber Christus“ verlieren. Die Einfältigkeit der Gläubigen bestehe darin, die Liebe Gottes nicht anzuzweifeln und sie gegen bohrende Fragen zu verteidigen: „Ja, Jesus sagt, er liebt dich – aber was hast du denn eigentlich davon? Wo bleibt denn seine Hilfe? Du hast gebetet, aber dein Gebet wurde nicht erhört – ja, wo ist jetzt die Liebe meines Bräutigams?“ Wenn man nicht aufpasse, verliere man das Vertrauen zu Christus. „Und das ist wohl das schlimmste, wenn eine Braut nicht mehr das Vertrauen hat: Der Bräutigam liebt mich. Dann ist die Ehe gefährdet.“

Die Einfalt gegenüber Christus gehe aber auch dann verloren, wenn der Mensch sich auf die Ebene Gottes begebe, mahnt der Stammapostel: „Diese Tendenz kennen wir: Ich weiß, was gut für mich ist. Ich weiß, was ich machen muss, um das Heil zu erlangen. Man will frei entscheiden, was Sünde ist und was nicht. Jeder Gläubige will entscheiden, wie er mit dem göttlichen Gesetz umgeht. Nur, das geht so natürlich nicht.“ Denn Jesus Christus selbst habe eine klare Priorität gesetzt: Die bedingungslose Liebe zu Gott und zum Nächsten. „Manchmal gibt es Leute, die wollen selbst entscheiden, was der Nächste machen muss, damit er Gnade findet, damit man ihn lieben kann. Und dann zählt man die Gesetze auf. Sorry, das ist die Angelegenheit Gottes. Das geht uns gar nichts an. Der liebe Gott erwartet nicht von uns, dass wir da Ordnung schaffen und sagen, was er machen soll.“

„Der Fremde soll nicht erst werden wie du, bevor du ihn liebst“

Die Liebe zu Gott und zum Nächsten – sie ist seit dem Amtsantritt Jean-Luc Schneiders als Stammapostel dessen zentrales Thema in den Predigten. Und auch an diesem Morgen in Wilmersdorf ist er wieder an einem Punkt, an dem die Gottesdienstteilnehmer spüren, wie ernst es ihm damit ist. Etwa, wenn er daran erinnert, was Jesus Christus seinen Jüngern mit auf den Weg gab: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. […] Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“ (Mt 25,35.36) Christus habe in diesem Bild nicht gesagt, da habe jemand aus Versehen im Gefängnis gesessen. „Der war wohl im Gefängnis, weil er es verdient hatte“, fügt Jean-Luc Schneider hinzu. Und ergänzt auch im Falle des Fremden: „Da steht nicht: Der Fremde muss erst mal werden wie du – du sollst ihn jetzt lieben, wo er fremd ist!“

Lauter gegenüber Christus zu sein, so definiert er schließlich noch den zweiten zentralen Begriff des Bibelwortes, bedeute zuverlässig und geradlinig zu leben – und vor allem: Christus ohne Berechnung zu lieben. Nur weil jemand besonders in der Kirche aktiv sei – oder, mit den Worten Stammapostel Schneiders: „ein bisschen mehr für den lieben Gott“ mache“ –, dürfe er sich keinen besonderen Lohn davon erhoffen. „Ich werde nicht müde, das immer wieder zu betonen: Das passt nicht. Ich kann vom lieben Gott keinen Lohn verlangen. Ich liebe Gott, weil er mich zuerst geliebt hat. Natürlich schenkt uns Gott Segen und Hilfe – aber beides kann ich nicht einfordern.“

Abendmahl feiern: Der Kelch macht die Runde

Nachdem er zu weiteren Predigtbeiträgen die mitgereisten Apostel Rudolf Kainz (Österreich), Jürgen Loy (Süddeutschland) und Achim Burchard (Niedersachsen) an den Altar gerufen hat, nimmt sich der Stammapostel außergewöhnlich viel Zeit, um die Gemeinde auf das Heilige Abendmahl einzustimmen. Er habe sich vor kurzem noch einmal eingehend mit dem biblischen Bericht der Abendmahlseinsetzung befasst. „Ein Bild, das mich berührt“, sagt er mit bewegter Stimme. „Wie der Herr den Kelch nimmt, sagt, dass dies nun sein Blut sei, für viele vergossen, und dass alle daraus trinken sollten. Und wie der Kelch dann herumgereicht wird und ich sehe, wie der Herr ihn mir gibt und sagt: Nimm ihn und dann gib ihn deinem Nachbarn. Und dann geh ich zu meinem Nachbarn, zu meinem Nächsten, und sage ihm: Du, das ist das Blut Jesu. Der ist für dich gestorben. Und der Kelch macht die Runde und ein jeder sagt’s dem andern: Dir sind deine Sünden vergeben!“ Und nach einem Moment der Stille fügt er hinzu: „Bitte, Bruder, Schwester, nimmt dir zwei Minuten Zeit und denk darüber nach: So wollte Christus die Feier des Heiligen Abendmahls.“ Wobei er ergänzt: Es gehe nicht um die konkrete Handhabung, „wir haben eine andere Art und Form der Abendmahlsfeier“, sondern um den Sinn.

Zum Abschluss des Gottesdienstes steht noch eine Segensspendung an: Der russische Apostel Alexander Malyschew und seine Frau erhalten den Segen zu ihrem 40. Ehejubiläum. „Das dauert nicht lange“, scherzt der Stammapostel, als er die beiden an den Altar bittet. Erst zur Diamanten Hochzeit würde es wieder ausführlicher. „Da muss ich langsamer sprechen.“ Es ist der Schlusspunkt eines „normalen Gottesdienstes in normalem Rahmen – auch mit normaler Temperatur“, so hatte er es der Gemeinde eingangs gesagt, auch wenn es für die ein Festgottesdienst war. Anders als für ihn: Nächsten Sonntag ist er zu Besuch im Kongo.

Zurück
Teilen: