Schon der Auftakt am Montagabend belegt eindrucksvoll, dass sich die intensive Probenarbeit gelohnt hat. "Jauchzet, frohlocket", ruft der groß angelegte Eingangschor nicht nur sprichwörtlich mit Pauken und Trompeten dazu auf, angesichts der großartigen Heilstat Gottes nicht länger zaghaft und abwartend, sondern fröhlich zu sein. Mit diesem grandiosen Beginn ziehen sie unter Leitung von Volker Hedtfeld die Zuhörer auch am Dienstagabend in ihren Bann: 42 Instrumentalisten im Orchester und 112 Sängerinnen und Sänger im Projektchor. Quasi gegenüber, in den ersten Reihen der Kirche, hat sich der Schulchor platziert. Er singt die Choräle als Antwort der Gemeinde. Im Oratorium wird durch den Evangelisten die Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2 singend erzählt, hatte Bezirksapostel Wolfgang Nadolny zu Beginn in die Abende eingeführt. Diesen Part übernimmt der Tenor Nico Eckert an den beiden Abenden. Arien und Choräle illustrieren die Handlung. Am Ende eines jeden Abschnittes fasst ein Choral das Geschehene zusammen und ordnet es theologisch ein. Die Arien übernehmen Julia Spencker (Sopran), Astrid Kuschke-Jaecks (Mezzosopran) und Frank Burkhardt (Bass).
Im ersten Teil des Weihnachtsoratoriums wird die Geburt Jesu dargestellt. "Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augusto ausging", verkündet der Evangelist. Die Rezitative und Arien erzählen von der Widersprüchlichkeit der Situation: einerseits das verlangende Warten auf den Messias, andererseits die Frage: "Wie soll ich dich empfangen?" Mit einer Ehrerbietung gegenüber dem gerade geborenen und doch so mächtigen Kind - "Großer Herr, o starker König" - von Bassist Frank Burkhardt und dem Choral "Ach mein herzliebes Jesulein" endet der erste Teil.
Der zweite Teil erzählt von der Nachricht der Geburt an die Hirten. Er beginnt mit einer Hirtenmusik zweier Oboen d'amore, die pastoral und schwingend unterstützt wird durch Streicherstimmen und Basso Contino. Zur Arbeit der Hirten gehörte immer auch Musik. Sie diente überwiegend zur Signalgebung und bereitet hier die sich anschließende Verkündung der der Geburt Christi durch die Engel vor. Wie sehr in den letzten Monaten geprobt wurde erkennt man hier am leichten, ja mühelos anmutenden Spiel der Instrumente. Der Chor brilliert mit sauberen Koloraturen. Spätestens im Choral "Brich an, o schönes Morgenlicht" kann man im Text beinahe mitfühlen, wie das "schwache Knäbelein" den Satan zwingt. Die Passage endet versöhnlich und liebevoll vorgetragen mit der Vorstellung, wie Jesus letztlich Frieden bringt. Die Hirten mahnen sich zur Eile, das Kind zu sehen. Meisterhaft tragen Tenor und Soloflöte die Arie "Frohe Hirten, eilt, ach eilet" vor. Man spürt in den Zweiunddreißigstel-Läufen förmlich die eilende Freude. Nachdem Maria (Astrid Kuschke-Jaecks) das Wiegenlied "Schlafe, mein Liebster" gesungen hat, jubilieren die Heerscharen der Engel "Ehre sei Gott in der Höhe". Und der Schulchor fasst im Choral das Lob der Gemeinde zusammen: "Wir singen dir in deinem Heer aus aller Kraft Lob, Preis und Ehr".
"Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen" - Noch einmal zeigen Chor und Orchester mit Brillanz und Leichtigkeit das Ergebnis ihrer gemeinsamen Arbeit. Das "frohlockende Preisen" wird im Saal spürbar. Mit diesem Chor beginnend, beschließt der dritte Teil die Geschichte der Weihnachtsnacht: Die Hirten machen sich auf nach Bethlehem - "Lasset uns nun gehen" - und beten das Kind im Stall an. Der heilsgeschichtliche Zweck der Geburt Christi wird in "Er hat sein Volk getröst" deutlich. Der folgende Choral drückt die Dankbarkeit gegenüber der göttlichen Liebe aus: "Dies hat er alles uns getan". Der sich steigernde Choral "Seid froh dieweil" ruft die Christen dazu auf, sich diesem Dank anzuschließen. Das Finale bildet die Wiederholung des Eingangschores: "Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen".
Nach dem Verklingen des letzten Akkords braucht es einen Moment, bis die großartige Musik Bachs im Inneren nachgeklungen ist. Man könnte meinen, Vortragende wie Zuhörer genießen diese Momente der Stille in innerer Einkehr. Dann ist das Publikum nicht mehr zu halten. Mit großem und langanhaltendem Applaus bedanken sich die Zuhörer bei Solisten, Chor und Orchester. Fröhliche Gesichter allenthalben: Hier wurde die Freude über die Geburt Christi, die Weihnachtsfreude erlebt.
Bezirksapostel Wolfgang Nadolny hatte Mitte Februar den Startschuss für das Projekt gegeben. Kurz darauf hatte das Orchester begonnen zu proben. Seit Ende März probten monatlich Projektchor und Orchester gemeinsam, im September kamen die Sängerinnen und Sänger des Schulchores dazu. Der Berliner Schulchor war Anfang der 1920er Jahre zu Schulungszwecken ins Leben gerufen worden. In der Zeit des geteilten Deutschlands existierte er in beiden Teilen Berlins separat weiter, bis er 1992 wiedervereinigt werden konnte. Der 112-köpfige Projektchor wurde eigens für das Weihnachtsoratorium gebildet. Nach einem Aufruf in den Gemeinden konnten sich Interessierte anmelden um mitzusingen. Die Mitglieder des Orchesters hatten ihren ersten großen öffentlichen Auftritt 2010 in der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg. Seither arbeiten auch sie projektbezogen.