Freitagfrüh geht es los

Wenn einer eine Reise tut

...so kann er was erzählen - so heißt es in Matthias Claudius' Gedicht "Urians Reise um die Welt" aus dem Jahr 1786. Mehr als 200 Jahre später geht es für 37 Mitglieder des Orchesters der Gebietskirche Berlin-Brandenburg zwar nicht um die Welt, aber etwa 300 Kilometer gen Süden. Sie fahren für ein Wochenende nach Erfurt. Hier ist Olaf beheimatet, der es sich nicht nehmen lässt, mit seinem Fagott immer wieder zu Proben und Konzerten nach Berlin zu reisen. Zeitpläne sind ausgetüftelt, ein Programm erstellt, die Thomaskirche gebucht, das Reiseunternehmen ausgewählt und die Jugendherberge ausgesucht, als es am Freitag, 28. Oktober 2016 endlich losgeht. Drei Mitglieder des Orchester - ein Fagottist, eine Violinistin und ein Oboist berichten von der Reise.

"Es ist 9.30 Uhr und nieselt leicht, als sich die Mitglieder des Orchesters im Seminar- und Begegnungszentrum Neukölln einfinden. Für die einen "vor dem Aufstehen" und für die anderen beinahe Mittagszeit - je nach persönlichem Empfinden. Zunächst müssen die großen Instrumente verladen werden. Neben einem Kontrabass sind das vor allem die zwei Kesselpauken, ohne die die 8. Sinfonie Dvoraks undenkbar wäre. Und langsam füllt sich der Laderaum des Busses: Koffer, Taschen, Instrumentenkästen, Notenpulte - eben alles, was man für drei Tage Orchesterreise benötigt. Ein letzter Check: "Alle da", meldet der verantwortliche Organisator Tobias und dann geht es los. Über die Stadtautobahn auf den Berliner Ring, später auf die A9. Und wer meinte, hier könne er noch etwas Schlaf nachholen irrt: Pläne werden geschmiedet, Neuigkeiten seit der letzten Probe ausgetauscht, Zimmerbelegungen verhandelt oder schnell noch eine Nachricht nach Hause geschickt: "Wir sind unterwegs". Nach einem Halt auf der Raststätte Osterfeld, gerade noch in Sachsen-Anhalt, geht es weiter nach Erfurt. Dort erwarten den Busfahrer enge Gassen, Einbahnstraßen, Baustellen. An der Jugendherberge heißt es einchecken und schon geht es weiter zur ersten Probe in die Neuapostolische Kirche Erfurt." (Jens, Oboe)

Lächelnder Bienenschwarm

"Der Blick auf den ausgehändigten Ablaufplan muss wiederholt werden: Sind für heute wirklich noch vier Stunden Probe angesetzt? Bei der kurzen Verschnaufpause in der Jugendherberge scheint es beinahe unmöglich, dafür genügend Motivation aufzubringen. Aber natürlich sind wir ja für ein Orchesterwochenende hier und das geht nun mal nicht ohne Proben. Schließlich wollen wir doch am folgenden Tag ein Konzert gestalten. Also auf mit dem Bus zur Gemeinde Erfurt, wo für uns schon alles vorbereitet ist; wir können sofort loslegen. Die Müdigkeit ist schnell vergessen, denn wir dürfen einfach wunderschöne Musik zusammen machen. Und mit dem großen Ziel "Konzert" vor Augen versucht der Dirigent uns den Feinschliff zu geben. An der einen Stelle soll das Orchester einem - natürlich wohlorganisierten - Bienenschwarm gleichen, während man an anderen beinahe die sprichwörtliche Stecknadel im Nebenraum fallen hören könnte. Aber das Wichtigste die ganze Zeit über: Coolness und Lächeln. Das allerdings ist gar nicht so einfach umzusetzen bei den vielen Tönen, die zu spielen sind. Bei aller Freude am Musizieren lässt die Konzentration doch irgendwann stark nach. Da kommt eine für Orchesterspieler äußerst wichtige Tageszeit gerade recht: die Kaffeepause. Durch diese gestärkt, können wir auch die letzten Stunden der Probe gut überstehen.

Nach dem Verstauen der Instrumente in der Jugendherberge steht nur noch ein 25-minütiger Fußmarsch zwischen uns und dem nächsten Programmpunkt, der uns jetzt allen doch sehr gelegen kommt. "Rist. Rossini" lesen wir und werden nicht enttäuscht. Bei gutem Essen und Trinken lassen wir den ersten Tag unserer Orchesterfahrt ausklingen und es wird deutlich, dass wir nicht nur ein Orchester, sondern auch eine Gemeinschaft sind. Dass es auf dem Rückweg schon stockdunkel ist liegt nicht nur an der Jahreszeit." (Daniel, Fagott)

Samstag - Generalprobe und Konzert

"Samstag und schon wieder ein früher Morgen. Der Wecker klingelt um 7.30 Uhr. Nach gepflegter Morgentoilette und reichhaltigem Frühstücksbuffet geht es ans Brötchen schmieren für einen langen, ereignisreichen Tag. Wie sich bereits bei unserer Abfahrt herausgestellt hatte, verfügen wir über eine äußerst preußische Pünktlichkeit (jawohl liebe Eltern, schickt eure Kinder in die Ferne, da klappt es), welche uns auch heute Morgen zu einer entspannten, dem Zeitplan entsprechenden Abfahrt verleitet. Der Weg führt zur schönen Thomaskirche - und in die Eiszeit. Uns begrüßen 11 Grad Celsius. Endet der Winter, sind die meisten von uns in Wintermäntel oder dicke Jacken gehüllt, aber im Oktober? Eine Email im Vorfeld hatte uns auf 16 Grad Celsius vorbereitet. Und die sollten sich tatsächlich anders anfühlen. "Hätte ich doch nur mehr Kleidung eingepackt", aber nun ist es zu spät. Zum Glück sind die beiden Nebenräume, welche uns zum Auspacken unserer Instrumente zur Verfügung gestellt wurden, schön warm.

Mit kalten Fingern und bald auch kalten Füßen kriecht die Kälte Richtung Kopf, was sich anscheinend auch auf unser erstes Proben in diesen heiligen Hallen auswirkt. Nach einem ersten Durchlauf ziehen wir uns in den größeren der beiden Nebenräume zurück, um uns erstens aufzuwärmen und zweitens unserem Dirigenten zu lauschen. Kurz gesagt war unser Spielen für die Tonne. Das Gute jedoch: Seine Rede erinnert nicht an die Restmülltonne, sondern dreht sich um alles Wiederverwert- und Aufwertbare. Ein bewegendes Gebet schließt die aufmunternden Worte ab. Mit Gottes Hilfe wird es klappen. Neues Spiel, neues Glück; nun im Stehen. Bis auf die Cellisten, die ja eh sitzen, tut uns die neue Position so gut, dass wir auch das Konzert im Stehen spielen wollen. Wir kürzen die Generalprobe drastisch und hoffen auf Wärme. Es ist 11.30 Uhr, wir haben also viel Zeit für eine ausgiebige Heißgetränkepause und einen gepflegten Bummel durch die Innenstadt, bevor es ins Konzert geht." (Tanja, Violine)

Die Stadt kennenlernen

"Eine Stadtführung in Erfurt. Dafür sollte die eine angesetzte Stunde doch eigentlich reichen. Doch weit gefehlt: Unsere Stadtführer (ein für die Jugendlichen zuständiger Priester und der ehemalige Vorsteher der Gemeinde) sprudeln über vor lauter Wissen zu ihrer Heimatstadt. Wahrscheinlich würde es für eine komplette Tagestour reichen. Viele Dinge können nur angeschnitten werden, geben aber doch einen guten Einblick in die Geschichte der Stadt. Ob Reformationszeit, Krämerbrücke, die Mikwe oder der beste Eis- und Schokoladenladen der Stadt - gerne würde man sich noch eingehender damit beschäftigen, genauer hinsehen, kosten. Da jedoch das Konzert immer näher rückt, muss dieser Wunsch warten. Neugierig sind wir allemal und vielleicht führt es uns ja auch einmal wieder zurück nach Erfurt." (Daniel, Fagott)

Einen Bericht zum Konzert finden Sie auf der Webseite der Gebietskirche Nord- und Ostdeutschland.

Gemeinsamer Gottesdienst und Rücktour

Sonntagfrüh - ein letztes Mal gemeinsam Frühstücken, dann Zimmer aufräumen und auschecken. Es geht zurück. Ein wenig Wehmut macht sich breit, haben wir doch gemeinsam viel gearbeitet und noch mehr gelacht. Soll das Wochenende schon zu Ende sein? Zunächst geht es aber noch einmal in die Neuapostolische Kirche Erfurt. Wir feiern gemeinsam mit der Gemeinde Gottesdienst. Der Kirchenraum ist zur Hälfte ausgeräumt, man hat "uns Platz gemacht". Mit bewegenden Worten begrüßt uns der Gemeindeleiter im Gottesdienst. Hier freut man sich "einen ungewöhnlichen Gottesdienst" zu haben ihn musikalisch gemeinsam zu gestalten. Und so sind es bekannte Lieder ("Nimm du mich ganz hin", "Liebe, die du mich zum Bilde", "O du mein Trost") die wir gemeinsam mit dem Chor musizieren. Nach dem Gottesdienst blicken wir kurz zurück auf das Konzert des Vortages: Der 4. Satz aus der 8. Sinfonie Antonin Dvoraks erklingt erneut - bevor es nach einem Brunch zurück auf die Autobahn geht. Wer von den Reisenden auf das Wochenende zurück schaut tut das mit freudigem Stolz: Wir haben gemeinsam etwas schaffen können, uns "hinter die Musik Dvoraks" gestellt, wie es Orchesterleiter Volker Hedtfeld in seiner Ansprache am Samstag empfohlen hatte, Freude ausgelöst und empfangen und - nicht zuletzt - "etwas für unser Orchester getan". Das spürbare Schlafdefizit wird dadurch mehr als ausgeglichen.

Text: TB/DJ/jel
Fotos: DK/CP/AN

Zurück
Teilen: